Bielefeld will zur Innovationshauptstadt Deutschlands werden. Dafür wurde die Initiative „Open Innovation Bielefeld“ ins Leben gerufen. Diese will die Stadt innovationsoffener, vernetzter und lebenswerter machen – und damit nicht nur die Zukunftsfähigkeit der Stadt, sondern der gesamten Region sichern. Der wissenschaftliche Leiter Prof. Dr. Ingo Ballschmieter und Dr. Henning Duderstadt, Leiter des „Innovation Office“, sind überzeugt: Wenn innovative Ideen und motivierte Akteure zusammenkommen, können in einer Stadt Dinge bewegt werden, die sonst niemals möglich wären.
Herr Professor Ballschmieter, Sie forschen seit vielen Jahren zum Thema Innovation. Warum sind Innovationen für Städte so wichtig?
Prof. Dr. Ingo Ballschmieter: Städte stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie Unternehmen. Um zukunftsfähig zu bleiben, brauchen sie Innovation – in der Mobilität, im Wohnungsbau und im Zusammenleben. In Unternehmen ist Innovationsförderung allerdings längst erprobt. Hier entwickeln Mitarbeiter in Workshops neue Ideen, lernen agile Methoden kennen und testen Produkt-Prototypen. Unternehmen wollen so dem immer stärker werdenden Innovationsdruck standhalten. Wir möchten in Bielefeld herausfinden, wie offene Innovation auf Stadtebene funktionieren kann.
Dieses Vorhaben ist so einzigartig, dass Sie im vergangenen Jahr an die US-Elite-Universität Berkeley eingeladen waren, um Ihre Forschung vorzustellen. Was haben Sie Ihren Zuhörern erzählt?
Prof. Dr. Ingo Ballschmieter: So wie Innovation in Unternehmen funktioniert, kann das auch in Städten funktionieren. Das zeigen wir in Bielefeld: Wir setzen auf Open Innovation – also einen Innovationsprozess, bei dem alle mitmachen dürfen und sollen. Um Städte fit für die Zukunft zu machen, brauchen wir Transparenz, Vernetzung und gemeinschaftliches interdisziplinäres Arbeiten.
Wie realisieren Sie das in Bielefeld, Herr Dr. Duderstadt?
Dr. Henning Duderstadt: Wir schaffen ein Umfeld, in dem Innovation entstehen und gedeihen kann. Wissenschaft, Wirtschaft, Verbände und gesellschaftliche Gruppierungen arbeiten Hand in Hand. Diese Vielseitigkeit spiegelt sich auch in dem 35-köpfigen Projekt-Beirat, bestehend aus dem Oberbürgermeister als Schirmherr, Dezernenten, Hochschulentscheidern, Unternehmern und Schülervertretern, wider. Zentraler Treffpunkt ist das Innovation Office mitten in der Bielefelder Altstadt, in dem das Team von Open Innovation City erreichbar ist. Hier bringen wir die Menschen zusammen, laden Impulsgeber ein und entwickeln gemeinsam Ideen. Wichtig ist uns, dass die Innovateure sich außerhalb ihrer „Blasen“ untereinander austauschen können.
Woran arbeiten Sie genau?
Dr. Henning Duderstadt: Wir adressieren mit unseren Leuchtturmthemen die Megatrends für Bielefeld. Ein großes Thema in der Innovatoren-Community ist die „grüne Stadt“, hier erarbeiten wir Projekte für sogenannte „grüne Gebäude“ und entwickeln mithilfe von Daten Mehrwerte für die Bielefelder. Mit dabei sind Unternehmer, Architekten und Vertreter aus der Baubranche, die sich zu Innovationen und Trends im Bereich der grünen Gebäudetechnik und Gebäudeplanung austauschen. Ein weiterer Fokus ist die Mobilität: Wir unterstützen mit unseren Innovationswerkzeugen die Stadt bei Projekten zur Verkehrsberuhigung. Dabei denken wir die letzte Meile der Logistik neu und laden internationale Best-Practice-Beispielgeber nach Bielefeld ein, um voneinander zu lernen. Dabei orientieren wir uns an Vorbildern wie Barcelona, Gent und Stockholm. Es hat sich beispielsweise herausgestellt, dass die lebenswertesten Städte humanzentriert sind und die Aufenthaltsqualität erhöhen, wenn sie den Autoverkehr ausschließen. Wichtig ist, dass man bestehenden Flächen einen Mehrwert gibt, sie so effizienter nutzt und sie danach weiterentwickelt.
Prof. Dr. Ingo Ballschmieter: Wir probieren in unserem Pilotprojekt etwas Neues aus und wollen so viele Menschen wie möglich beteiligen und mit ihnen ein überzeugendes Konzept schaffen. Versuchsräume sind dafür wichtig, damit die Menschen sehen können, dass das neue Konzept ihr Leben verbessert. In der Innovationsarbeit wollen wir nicht gleich alles umbauen, sondern testen, Akzeptanz einfordern und Stück für Stück neue Dinge umsetzen.
„Entscheidend für den Erfolg ist, dass verschiedene Bereiche der Gesellschaft zusammenarbeiten.“
Dr. Henning Duderstadt
Ein Projekt können die Bielefelder schon hautnah erleben. An den Laternen in der Innenstadt kleben Sensoren, die messen, wie viele Menschen vorbeigehen. Was hat das mit der Stadt der Zukunft zu tun?
Prof. Dr. Ingo Ballschmieter: Der Sensor basiert auf der Funktechnologie LoRaWAN (Long Range Wide Area Network). Das ist quasi das Gegenteil von 5G – nämlich ein Netz, das kleine Datenmengen über weite Strecken transportiert und dabei wenig Energie verbraucht. Mit diesen Sensoren kann eine Stadt prinzipiell alles vernetzen: Abfallbehälter melden ihren Füllstand an die Stadtwerke, das Smartphone zeigt freie Parkplätze in der Innenstadt an und Bäume im Stadtpark signalisieren, wenn sie gegossen werden müssen. Dafür braucht es kein schnelles 5G-Netz, LoRaWAN reicht völlig aus. Aktuell geht es in dem Projekt darum, festzustellen, wo die Daten gespeichert werden, wem sie gehören und wie sich daraus weitere Mehrwerte und Produkte umsetzen lassen.
Was sind die Erfolgsfaktoren, damit Bielefeld wirklich zum Innovationshub wird?
Dr. Henning Duderstadt: Entscheidend für den Erfolg ist, dass verschiedene Bereiche der Gesellschaft zusammenarbeiten. Unternehmen sind ein wichtiger Teil der Stadtgesellschaft. Die VerbundVolksbank OWL ist somit ebenfalls Teil des Ökosystems. Ich habe bis zum Jahr 2020 beim Bankverein Werther das Kompetenzfeld „Digitale Wirtschaft und Start-ups“ geleitet. So habe ich auch die Projektidee der Open Innovation City kennengelernt. Der Bankverein Werther ist bereits seit vielen Jahren Teil des innovativen Ökosystems und arbeitete daher bereits intensiv mit den Initiatoren des Projektes zusammen. Die Verbindung zwischen uns ist immer noch sehr eng – auch räumlich: Unser Innovation Office liegt direkt neben dem Bankverein Werther, der Zweigniederlassung der VerbundVolksbank OWL; das Gebäude gehört der Bank.
Dann passt der Bankverein Werther also gut zur Open Innovation City?
Dr. Henning Duderstadt: Auf jeden Fall. Das Bielefelder Innovations-Ökosystem hat der Bankverein Werther mit seiner Haltung überzeugt: Leistung ist zwar entscheidend, aber nicht alles. Die Bank schaut auch auf unternehmerischen Fortschritt, legt Wert auf offene und ehrliche Gespräche. Und: Sie schult ihre Mitarbeiter in Sachen Open Innovation, damit diese sich aktiv an der Weiterentwicklung der Stadt beteiligen können. Zwei Bankmitarbeiter nehmen übrigens gerade an unserer angebotenen Fortbildung „Innovation Gym“ teil.
„Um Städte fit für die Zukunft zu machen, brauchen
wir Transparenz, Vernetzung und gemeinschaftliches
interdisziplinäres Arbeiten.“
Prof. Dr. Ingo Ballschmieter
Können Sie uns etwas über den Inhalt dieses Programms verraten?
Dr. Henning Duderstadt: Das „Innovation Gym“ ist eine Fortbildungsreihe, in der wir den „Innovationsmuskel“ trainieren. Hier kommen Menschen aus Organisationen der verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche zusammen und werden zu „Open-Innovation-Managern“ ausgebildet. Sie arbeiten gemeinsam an Ideen und innovativen Projekten. An zehn Workshop-Tagen haben bisher 63 Teilnehmer aus 32 Organisationen zu den Themen Crowdsourcing, Megatrends, Ideation und Validation gearbeitet, sich ausgetauscht und Konzepte entwickelt. Das Programm bieten wir weiterhin kostenlos an. Für eine Teilnahme daran kann man sich bei uns bewerben. Unser Ziel ist es, kreative Maßnahmen von unterschiedlichen Personen und aus diversen Bereichen zusammenzutragen, um daraus neue Möglichkeiten für Veränderungsprozesse und gemeinsames Arbeiten im eigenen Unternehmen zu schaffen. Das ist genau das, worauf es uns ankommt!